Neustart in die Zukunft

11. August 2020 | _Alle | DBU | Transformation

Mit der folgenden Stellungnahme vom 12. Juni 2020 hat der Rat der DBU alle Mitglieder und Mitgliedsgemeinschaften aufgerufen, sich an einem Austausch über „eine klare und überzeugende Vision einer liebens- und lebenswerten Welt“ zu beteiligen.

„Neustart in die Zukunft – Krise als Katalysator“

Liebe Geschwister im Dharma,

die Corona-Pandemie wird das Zusammenleben der Menschen nachhaltig verändern. Dank ihrer meditativen und spirituellen Praxis können Buddhistinnen und Buddhisten mit dieser Entwicklung besonders einfühlsam umgehen. Der Rat der DBU möchte Euch bitten, Eure Erfahrungen und Überlegungen unter dem Leitgedanken „Wohin uns die Corona-Krise führen kann“ zu beschreiben und uns zuzusenden. Als eine Art Orientierung haben wir das folgende Statement verfasst:

Seit Jahresbeginn erleben wir eine Zeit, in der vieles zum Stillstand gekommen ist oder sich auf zum Teil unerprobte Weise geregelt hat. Wir sind nicht mehr verreist; wir sind entweder alleine oder zu vielen in eine Wohnung gesperrt und vom Freundeskreis getrennt gewesen; wir haben keine Veranstaltungen mehr besuchen können; und das Arbeitsleben hat plötzlich zuhause stattgefunden oder gleich ganz geruht. Gleichzeitig haben viele Menschen an vielen Stellen dafür gesorgt, dass die materielle Versorgung nicht zusammenbricht. Und viele haben Angst gehabt, dass sie selbst oder Nahestehende am Virus erkranken, während sie – häufig unter hohem Infektionsrisiko – andere Menschen betreut oder gepflegt haben.

Seit Anfang Mai haben die Lockerungen begonnen, die sich wie ein Neustart in einem fragilen Umfeld anfühlen. Wohin werden die Versuche führen, sich allmählich wieder direkter zu begegnen und dabei die während des zweimonatigen Lockdowns gemachten Erfahrungen und Überlegungen in den Alltag zu integrieren?

Denn die Corona-Krise wirkt immer noch wie eine Art Blitzlicht im Dickicht unserer Gewohnheiten. Der Schock, dass unsere Welt sich innerhalb kürzester Zeit so sehr verändern konnte, macht uns weiterhin zu schaffen. Bis vor wenigen Wochen erschien uns die Zukunft noch einigermaßen planbar und im Großen und Ganzen verheißungsvoll. Die Covid-19-Pandemie führt uns allen vor Augen, dass diese Annahme schon immer eine Illusion war. Es ist eine der Kernaussagen der buddhistischen Lehre, dass nichts in dieser Welt beständig ist. Der gegenwärtig von uns allen erlebte Wandel ist nur eine von vielen Arten der permanenten Veränderung.

Viele Menschen erleben die Folgen der Corona-Krise als Leid und bemühen sich um dessen Überwindung. Für die materiellen Probleme haben viele Institutionen und Organisationen Angebote zur Verfügung gestellt, die durch die überall sichtbare Bereitschaft begleitet wird, sich gegenseitig zu unterstützen. Nicht nur in Deutschland ist dieses Verhalten ein wichtiges Fundament für eine erfolgreiche Bewältigung aller entstandenen Schwierigkeiten.

Buddhistische Praxis kann in dieser Zeit für viele Menschen eine Hilfe sein, mit ihren Ängsten und anderen negativen Gefühlen besser zurechtzukommen – z.B. durch Metta-Meditation oder Achtsamkeitsübungen. Oder mithilfe unzähliger anderer Praxis-Übungen, die im Laufe der Jahrtausende entwickelt und ständig verfeinert worden sind. Seit Beginn dieser Krise ist eine Vielzahl von Online-Angeboten entstanden, die Meditations-Praxis, spirituellen Austausch und Gemeinschafts-Erfahrungen bieten. Natürlich ersetzen solche Treffen nicht die wirkliche Begegnung mit anderen Menschen – sind aber besser, als unter Zweifel, Furcht und Vereinsamung zu leiden.

Ging es in den Medien anfangs vorrangig darum, welche Methoden zur Bekämpfung der Pandemie am erfolgversprechendsten sind, verlagert sich der öffentliche Diskurs nunmehr auf die Frage, wie sich der begonnene Ausstieg aus den Notmaßnahmen weiter entwickeln soll. Angesichts der jetzt erlebten Fragilität der bis dahin als „normal“ erlebten Lebensweise rückt auch die Frage in den Fokus, zu welcher Art der „Normalität“ wir eigentlich zurückkehren wollen.

Die Frage, welche Art von Leben nachhaltig sinnvoll und zukunftsfähig ist, ist für uns Buddhistinnen und Buddhisten ständig relevant, weil wir ein Teil der Zivilgesellschaft sind und die Lehre des Buddha uns konkrete Hinweise gibt, welche Entwicklungen heilsam und welche unheilsam sind. Wenn wir uns an die Welt vor dem Beginn der Pandemie erinnern, denken wir vor allem an eine Welt der scheinbar unlösbaren Krisen: die Klimakrise mit den dazu gehörigen Naturkatastrophen, rasantes Artensterben, Plastikmüll-Verseuchung in den Ozeanen und auch in unserer Nahrung, religiös-nationalistische Konflikte als Auslöser großer Migrationswellen, Rechtspopulismus und Rassismus, zunehmende Spannungen und Wirtschaftskriege zwischen großen Nationen, starke Zunahme sozialer Ungerechtigkeit und Armut. Diese Liste lässt sich noch um einiges erweitern.

Wir haben uns zu fragen, wie die Welt nach dem Neustart aussehen soll – zum Beispiel im ökonomischen Bereich. Geht es darum, die Wirtschaft möglichst schnell in ihrer bisherigen Form wieder hochzufahren oder besser gleich Alternativen zum Drang nach einem ständigen Wachstum auf einem begrenzten Planeten zu suchen und zu fördern? Ist es nicht sinnvoller, aus dem Neustart auch einen Neubeginn zu machen, indem wir uns z.B. dafür einsetzen, dass bevorzugt Projekte, Unternehmen und Branchen gefördert werden, die nachhaltiger, ökologischer oder sozialer ausgerichtet sind?

Wir Buddhistinnen und Buddhisten möchten unseren Beitrag leisten, in allen Lebensbereichen eine klare und überzeugende Vision einer liebens- und lebenswerten Welt zu entwerfen und umzusetzen. Wir sind der Meinung, dass jede Krise viele Türen für heilsame Entwicklungen öffnet. Wir (die DBU und ihre Mitglieder) wollen uns daran beteiligen, diese Türen zu öffnen und die auf diese Weise gefundenen Möglichkeiten zu benennen. Über diese Aufgabe möchten wir uns gerne mit allen Interessierten austauschen. Beiträge zu diesem Thema sind erwünscht und werden von uns online gestellt.

Wir sind gespannt auf eure Rückmeldungen!

Der Rat der DBU

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Diskussionsbeiträge nach Eingangsdatum

Drei Beiträge von Klemens J.P. Speer zur Nach-Corona-Zeit

Corona, ein lebensbedrohliches unsichtbares neues Virus, breitet sich weltweit in weniger als vier Monaten aus. Keiner kann genau sagen wie lange die Pandemie noch dauern wird. Schon mehr als 17 Millionen Infizierte und über 600.000 Tote, ist die vorläufige Bilanz am 1.8.2020. 

Ein Virus zeigt uns, wie instabil die weltweite neoliberale Wirtschaftsordnung ist. Plötzlich ist möglich, was zuvor niemand für möglich hielt. Milliarden-Programme an Wirtschaftshilfen werden scheinbar wahllos verteilt. Ein klares Konzept, wie die Wirtschaft wieder auf die Beine kommen soll und umweltgerecht gestaltet werden kann, ist jedoch nicht zu erkennen. Der Eindruck entsteht: möglich schnell wieder zurück zu dem, wie es einmal war.

Nun werden jedoch viele Menschen auf Grund der Kontaktbeschränkungen und Hygiene-Regeln sehr nachdenklich und es wird immer deutlicher, dass es ein Zurück nicht geben wird, weil die neoliberale Ökonomie schon lange am Ende ist: Corona bringt sehr deutlich ans Licht: der „Point of no Return“ ist erreicht. Die neoliberale Weltökonomie hat keine Lösungen für die Umweltzerstörung, die Abholzung des Regenwaldes, die Klimadebatte, für die 80 Millionen Migranten weltweit und ebenso wenig für die 1 Milliarde Menschen, die täglich hungern und die vielen sozial-kulturellen Verwerfungen in den Entwicklungsländern und für den Frieden auf der Welt.

Was können die Weltreligionen, was können die buddhistische und daoistische Lehre dazu beitragen die „Welt vielleicht doch noch zu retten“?

Zum Thema „Neustart in die Zukunft“ gibt es drei Beiträge von mir. Sie kommen zwar mehr aus der „daoistischen Ecke“, haben aber inhaltlich und praktisch starke Parallelen zum Dharma. Als Zen-Lehrer in der buddhistischen Tradition nach Willigis Jäger, ist mir das Dharma sehr vertraut. Da ich aber auch Taiji-Lehrer und –Ausbilder bin, habe ich den ersten und zweiten Text vor einem daoistischen Hintergrund verfasst. 

Nachfolgend jeweils der Link zu den folgenden Beiträgen

1) Diskussionsbeitrag: Taiji – Daoismus und Klimawandel 
     – Sich mit Taijiquan und Qigong für ein globales Gleichgewicht engagieren
https://www.zen21.de/images/pdf/TaiChi/Taiji-Dao-kologie.pdf

2) Glück gehabt – Pech gehabt: daoistische und westliche Werte im Taiji
     –  Welche ethischen Werte verinnerliche ich durch meine Übungspraxis?
https://www.zen21.de/images/pdf/Artikel-und-Vortraege/Werte_im_Taiji.pdf

3) Ein neues Navigations-System für wirtschaftliches Handeln
     – Achtsamkeit und Ethik in Organisationen
https://www.zen21.de/images/pdf/Artikel-und-Vortraege/Werte_im_Unternehmen.pdf

1000 Hände – gelebte Verbundenheit

Nach dem ersten Schock des Lockdowns, der in Österreich durch die Regierung sehr dramatisch inszensiert wurde, wurde mir in meiner Arbeit als Zen-Priester und Seelsorger, aber auch als Unternehmer sehr schnell vor Augen geführt, welche weitreichenden Auswirkungen, welches Leid das alles haben wird. Ich hörte Geschichten über tiefliegende Wunden, Ängste und pure Verzweiflung: von einem zehnjähriges Mädchen, das Panikattacken bekam bei dem Gedanken, sie könne aus Versehen ihre Großeltern anstecken und damit ihren Tod verantworten; von einem Geschäftsmann, der sich am zweiten Tag nach der Wiedereröffnung in seinem Geschäft erhängte – aus Angst, dass keine Kunden kommen, aber auch aus Angst, sich anzustecken; von einer 92-jährigen Dame, die auf dem Transportweg zwischen zwei Krankenhäusern – ins erste durfte sie nicht eingeliefert werden, da kein Covid-19 Test vorlag – einen weiteren Herzstillstand erlitt, von ihrer Tochter aber nicht begleitet werden durfte …

Dies sind dramatische Einzelschicksale, doch auf subtilere Art wirkt sich der Lockdown auf uns alle aus und wird sich weiterhin auswirken. Durch das Social Distancing und die Virtualisierung wurde auch schnell klar, wie sich all das auf unser Miteinander auswirkt und es aus den Fugen hebt. Es offenbarte sich eine Richtung, die schon lang spürbar war: die Entkörperung unserer Welt. Sie ist bereits viel weiter fortgeschritten, als ich erahnen konnte, die Bruchlinien wurden und werden zu großen Schluchten.

Im März letzten Jahres wurde ich in Bloomington, Indiana, USA von Hoko Karnegis in der Linie von Okumura Roshi zum Soto-Zen-Priester ordiniert. Als der Lockdown begann, haben wir für unsere kleine frische Sangha in Wien schnell ein virtuelles Netz aufgespannt, mit einen Dialograum, der sich als sehr hilfreich für diese Zeit herausgestellt hat, um gemeinsam unsere Ängste, die Wut, unsere Einsamkeit und noch vieles mehr aufzufangen.
Es wurde schnell sichtbar, dass es dringender denn je eine Wiedereröffnung der Herzen braucht und dazu können unsere Bodhisattva-Gelübde einen wichtigen Beitrag leisten. Mit unserer Übung zur Befreiung unseres Herzens, mit Hilfe eines großherzigen, fürsorglichen und elterlichen Geistes, von dem unsere Vorfahren, von Uchiyama Roshi bis hin zu Dogen Zenji, sprachen, zum Wohle aller Wesen tätig werden.

Ich bin als buddhistischer Seelsorger in Gefängnissen und einer Obdachloseneinrichtung tätig und teile meine Praxis. Diese Welt zu einem besseren Ort zu machen scheint eine unmögliche Aufgabe zu sein, aber die Möglichkeit dazu besteht in jedem Moment. In jeder kleinen Handlung, die wir setzen, können wir einen Samen für die Heilung miteinsetzen, Moment für Moment, Augenblick für Augenblick. Ich träume schon lange davon, dies auszuweiten und in einen größeren gesellschaftlichen Kontext zu bringen. Was mich, was uns als Gemeinschaft nährt, ist eine wichtige Frage in meiner Praxis und dazu gehört auch, wie wir uns ernähren. Ich liebe Kochen und Backen und möchte mit dieser handwerklichen Arbeit Menschen unterstützen. Praktizierende wie Bernie Glassman, aber auch Mitglieder anderer Religionen, wie zum Beispiel Pater Gregory Boyle, haben diese Idee in mir gestärkt, aber letztendlich war es Rev. Kalen McAllister aus St. Luis, eine Zen-Priesterin, die ich letztes Jahr in ihrer „Laughing Bear Bakery“ besuchen durfte, die mich inspirierte, auf ähnliche Weise meine Praxis im Alltag umzusetzen. Sie bäckt gemeinsam mit ehemaligen Häftlingen Kuchen, Kekse und Muffins und vertreibt diese über kleine, lokale Geschäfte.
Zurück in Wien gab mir meine Dharma Schwester Susanne Halbeisen den Raum, um die Idee in ein Konzept zu gießen, und führt das Projekt seitdem mit mir gemeinsam. Durch die Corona-Krise wurde mir noch klarer, wie wichtig der Fokus auf dieses Teilen unserer Praxis und ihrer Früchte in einem größeren gesellschaftlichen Kontext ist. Wir haben ihm den Namen „1000 Hände“ gegeben, eine Anlehnung an den Bodhisattva des Mitgefühls, Avalokiteshvara, der in der buddhistischen Ikonographie oft mit 1000 Armen dargestellt wird. So ist es ihm möglich, allen Wesen gleichzeitig zu helfen, wo sie auch sein mögen. Für uns symbolisiert dieses Bild der 1000 Arme auch, dass wir nicht allein existieren und alle miteinander unumgänglich in Verbindung stehen.

Unser Projekt: „1000 Hände – gelebte Verbundenheit“

1000 Hände ist ein Angebot für Menschen, die am Arbeitsmarkt wenige Chancen auf eine Beschäftigung haben, wie zum Beispiel ehemalige Gefängnisinsassen, Menschen mit Behinderungen, Obdachlose, psychisch Kranke, Drogen- und Alkoholabhängige nach einem Entzug.

Über einfache handwerkliche Arbeit wird ein Einstieg in eine alltägliche Struktur ermöglicht. Wir alle wissen, dass dieser Rahmen als Anker, als Halt in unserem Leben notwendig ist. Das Tun mit unseren eigenen Händen, die verkörperte Erfahrung dieses Tuns, spielt dabei eine entscheidende Rolle. In unserem Fall wird dies das Zubereiten von Backwaren und Lebensmitteln, in weiterer Folge von Brot und ähnlichem sein. Diese Tätigkeit benötigt anfangs wenige Vorkenntnisse und ist einfach zu erlernen. Es geht dabei im erweiterten Sinn auch um die Frage, was uns ernährt und was unseren Geist nährt!

Begleitet wird dieser Prozess der Eingliederung bzw. Wiedereingliederung in einen strukturierten Alltag durch die Beschäftigung von ehrenamtlich tätigen Mitmenschen, die das Teilen ihrer seelsorgerischen kontemplativen Praxis vertiefen wollen. Jeder ist willkommen und wertvoll.

Es geht darum, einen Raum für kontemplative, spirituelle Fürsorge zu schaffen, einen Raum, in dem jeder so gesehen werden kann wie er ist, ohne Bewertung und Vorverurteilung. Dieser Raum ist die Basis, Veränderung sichtbar zu machen.

Um die Realisierung des Projekts so einfach wie möglich zu gestalten, wird in der ersten Phase in einer angemieteten Gastroküche gearbeitet. Wir werden als Großhändler Lebensmittel für Gastronomie und Handel herstellen, diese auch per Onlineshop direkt verkaufen. Anfangs werden verschiedene internationale Backwaren und andere Lebensmittel in hoher Bioqualität produziert und an Handelspartner, beispielsweise Reformhäuser, Gastronomiebetriebe, etwa kleine Cafés, sowie online direkt verkauft.

In weiteren Schritten ist eine Dialogplattform, ein eigenes Zentrum mit Wohnmöglichkeiten, einer Bäckerei und einem Café sowie einer integrierten Ausbildung für kontemplative Seelsorger geplant.

Der Grundpfeiler für diese Arbeit, das ist unsere Erfahrung, kann nur eine persönlich entwickelte kontemplative Praxis sein, ein ständiges In-Sich-Selbst-Schauen und sich um sich selbst kümmern. Wir teilen die Welt nicht ein in die Bedürftigen, die Hilfe brauchen und die Guten, die Anderen helfen, sondern wir teilen unsere Erfahrung aus unserer gemeinsamen Praxis im gemeinsamen Handeln. Unsere Praxis besteht zum größten Teil aus Zazen und der Übung, unser Leben aus diesem Zazen-Geist heraus zu gestalten.

Unser Ziel ist es, einen Ort zu schaffen, an dem wir diese Praxis des gemeinsamen allumfassenden Lebens, sprich arbeiten, praktizieren, essen, trinken, kochen, putzen, feiern, einfach das ganze Leben umsetzen können. In unserer so fragmentierten Welt braucht es diese 1000nde von Händen, die wir uns gegenseitig reichen. Es geht uns nicht um persönliche Bereicherung, sondern um den Nutzen für die Gemeinschaft, wir streben Gemeinnützigkeit an. 1000ende von Händen sollen dies unterstützen.

Das ausführliche Konzept steht auf unserer Sangha Homepage zum Download bereit und in Kürze gibt es auch eine eigenen Homepage für 1000 Hände. Hier geht’s zum Download des Konzeptes.

Wir freuen uns über jede Form der Zusammenarbeit, Feedback und Kommentare unter:
Mehr Infos von uns gibt es unter : www.daijihi.org

Shinko Andreas Hagn, Wien
7. Juli 2020

Und plötzlich stand alles still

Und plötzlich stand alles still. Kapital und Wirtschaft verlieren an Bedeutung, wenn unsere Gesundheit und unser Leben bedroht sind.

Was kann man daraus lernen?
Ich würde mir eine Gesellschaft wünschen, in der im Vordergrund steht, dass es dem Menschen gut geht. Der Menschheit insgesamt und jedem Menschen im individuellen Sinne.
Auf die Krise bezogen heißt das für mich, dass in der Wirtschaft ebenso der Mensch und nicht die Waren oder Zahlen im Vordergrund stehen. Die Wirtschaft sollte demnach wieder krankheitsfreundlicher werden. Wer krank ist soll zu Hause bleiben dürfen bis er wieder gesund ist, damit er sich angemessen erholen kann und so vor Allem niemanden ansteckt. Gleiches gilt für Eltern, deren Kinder krank sind.

Menschen sind Individuen. Ich wünsche mir gerade in Krisenzeiten mehr Respekt und mehr Freiheit für individuelle Bedürfnisse und individuelles Handeln. Verordnungen können in gewissen Situationen keinen Sinn machen. Fachkräfte bzw. Verantwortliche Personen sollten in solchen Situationen Ausnahmen von Verordnungen erkennen, begründet geänderte Maßnahmen umsetzen, und dies an höhere Stellen rückmelden. Diese Rückmeldungen müssen folglich von politischer Seite auch Gehör finden, damit Änderungen dementsprechend umgesetzt werden können.

Ich denke hierbei an Corona Verordnungen, die beispielsweise in Kita’s nur umgesetzt werden konnten, wenn kindliche Bedürfnisse der Verordnung untergeordnet wurden. Das darf nicht sein. Was nützt einem Schutz wenn dieser neuen Schaden verursacht?
Ebenso gab es ältere Menschen aus der Risikogruppe, die ihre Familien nicht sehen durften oder konnten, obwohl sie das Risiko für sich selbst gerne tragen wollten.
Das wichtigste ist, dass es der Menschheit und dem Menschen im Einzelnen gut geht und nur unter diesem Aspekt auch gesund sein kann. Individuelle Bedürfnisse müssen daher gehört und berücksichtigt werden. Jedem muss ein gewisses Maß an Eigenverantwortung zugestanden werden. Wenn eine Oma für sich verantworten möchte, ihr Enkelkind auch in Corona Zeiten zu betreuen, so soll sie das tun dürfen. Sie gefährdet in diesem Fall maximal sich selbst.

Der fehlende Auto- und Flugverkehr hat die Welt deutlich ruhiger, die Luft und den Himmel klarer gemacht. Es wäre wünschenswert Wege zu finden wie man das auf Dauer aufrechterhalten kann. Denn unsere Gesundheit hängt von der Gesundheit unseres Planeten ab und ist darum in gleichem Maße schützenswert.

Danke für die Fragestellung und die Möglichkeit seine Gedanken äußern zu dürfen.

Viele Grüße
Cynthia Merson, 7. Juli 2020

Wurzeln, die die Blätter nähren

Bei manchen Mitmenschen kam der Gedanke auf, das der Virus nicht existiert oder mit einer bösen Absicht auf die Welt losgelassen wurde. Beides mit dem Grund uns unserer Freiheit, unserer Grundrechte zu berauben und unsere Wirtschaft zu ruinieren. Man hat uns eingesperrt in unsere Wohnungen oder Häuser und will nicht, dass wir unsere Liebsten besuchen. Als das hochkochte, sprachen Experten von dem „Präventions-Phänomen“. Dadurch, dass die präventiven Maßnahmen ergriffen wurden und Wirkung zeigten, wurde geglaubt, der Virus existiere nicht oder wäre nicht so schlimm und alle Maßnahmen hätten nur einen Zweck: totale Kontrolle und Unterdrückung.

Wenn wir genau hin sehen, finden wir hier Aussagen die weit tiefer gehen, als es mir möglich ist, zu beschreiben. Dennoch möchte ich es ein wenig versuchen. Wir finden hier Fragen wie:
Wer hat Schuld? Wer hat Recht? Ist etwas selbstverständlich? Können wir etwas bewahren, bzw. behalten? Waren wir jemals wirklich frei? Sehen wir uns das einmal genauer an.

1. Ist etwas selbstverständlich? Können wir etwas bewahren, bzw. behalten?

Auf eine sehr harte Weise traf nun durch die Pandemie bei vielen ein, was eigentlich im besten Fall erst sehr spät im Leben eintreten sollte. Verlust. Der Gedanke, dass etwas oder jemand irgendwann verloren wird, wird oft gern weggeschoben. Schließlich ist es ja irgendwann. Durch den Virus allerdings war es nicht irgendwann, sondern jetzt. Wenn ein negatives Ereignis samt seinem dazugehörigen Gefühlen scheinbar plötzlich vor der Tür steht, macht das Angst. Wenn etwas nicht so funktioniert, wie „ich“ es gern hätte, dann werde „ich“ wütend. Warum ist etwas so und nicht anders? Warum „meine“ Familie? Warum „ich“? Warum ausgerechnet jetzt? Diese Situationen können einen sehr in die Enge treiben und oft tut man dann etwas, was man eigentlich nicht tun wollte. Woraus dann wiederum negative Ereignisse und Gefühle entstehen können. Und es beginnt von vorne. Egal was man tut, um diesem Schmerz aus dem Weg zu gehen, irgendwann steht er wieder vor einem. Es dreht sich im Kreis. Betrachten wir das einmal anders. Nichts ist selbstverständlich. Niemand kann das Versprechen halten, dass wir alles was wir lieben, behalten können. Das es uns von Grund an zusteht, ein Grundrecht ist, ist ein wundervoller Gedanke, den wir schützen sollten. Doch diese Dinge sind zerbrechlich und vergänglich. Spätestens mit dem letzten Atemzug müssen wir sie wieder her geben. Jedem steht zu, zu tun, was er oder sie gern tun möchte. Zu lieben, wen und was man lieben möchte. Doch niemand kann es behalten. Es gehörte uns nie. Dieser Gedanke gibt uns die Möglichkeit, das was uns umgibt, als wertvoller zu betrachten. Was können wir also tun, wenn uns etwas negatives überrollt? Wir können atmen, so komisch sich das anhört. Der Atem ist immer da. Vom ersten Schrei bis zum letzten Atemzug verbindet uns der Rhythmus von Ein- und Ausatmen. Auch wenn wir unsere Häuser oder Wohnungen nur zum Einkaufen oder Arbeiten verlassen dürfen, können wir verbunden sein. Allein durch das Atmen. Darin steckt ein wunderbarer Gedanke. Man muss nicht da sein, um da zu sein. Persönlich habe ich den Verlust meines Bruders erlebt, als ich vierzehn war. Er starb eine Woche vor Weihnachten an einer Lungenembolie, da war er gerade neunzehn. Jahre voller Krankheit liegen hinter mir, durch die ich oft nicht tun konnte, was ich so liebte. Doch durch die Liebe war ich nie weit weg. Weder von meinem Bruder noch von den Aktivitäten. Liebe verbindet uns und wir können lieben, auch wenn uns etwas oder jemand nicht mehr direkt umgibt. Negatives gehört zu unserem Leben, genau wie positives. Weder an dem einen zu klammern, noch das andere abzulehnen wird oft als der Königsweg bezeichnet, auf den wir uns allein durch das Atmen begeben können.

2. Wer hat Recht?

Möglicherweise steckte eine böse Absicht hinter all dem, möglicherweise auch nicht. Nun steht „Meine Meinung“ gegen „Deine Meinung“. Wer hat Recht? Wer hat Schuld? Man kann sich ewig darüber streiten. Denn „Ich“ bin nicht schuld und „Du“ ja auch nicht, „Ich“ habe nicht Recht und „Du“ auch nicht. War vielleicht ein Dritter im Spiel, hat er Schuld? Hat er Recht? Wir können dieses Spiel ewig spielen. Das „Schuld-Verschiebe-Spiel“. Und wir werden es nie zu Ende spielen können. Aus diesem Spiel ergeben sich Lager. „Ich“ gegen „Du“, „Wir“ gegen „Die“. Das Konfliktpotential ist offensichtlich. Innerhalb eines Wimpernschlages kochen die Gemüter hoch. Es gibt Streit. Man kämpft mit Worten und wird in seiner Rage verletzend. Vielleicht auch körperlich. Das ist Zeitverschwendung, denn wie wir gesehen haben, kann alles in einem Augenblick vorbei sein. Als Folge haben wir Schmerzen und Narben. Physisch und Psychisch. Drehen wir das Ganze einmal um. Atmen wir einmal tief ein und aus. Letztlich bestehen diese Lager aus Ansichten und Meinungen. Aus einer Perspektive, aus der man die Sache betrachtet. Lassen wir den Anderen einfach mal seine Meinung äußern, ohne ihn mit unserer Meinung zu bombardieren. Und wir werden sehen, es ist ein Mensch, der genau soviel Angst hat, wie wir. Der Wünsche, Bedürfnisse und Anliegen hat, wie wir. Plötzlich ist „Mein“ gegen „Dein“ verschwunden. Wo ist es hin? Es ist nirgendwo hin, es hat nie existiert. So wird aus „Mein“ gegen „Dein“, „Mein“ und „Dein“. So können wir lernen und unsere Perspektive für einen Moment verschieben und die des Anderen sehen. So können wir Wunden heilen, Frieden schaffen, Freunde gewinnen und zu einer Einheit werden.

3. Und wer hat jetzt Schuld?

Schuld bedeutet, dass „Ich“ „Mein“ Problem auf jemanden oder etwas ablade. Etwas außerhalb, eine Person oder eine Situation, soll die Verantwortung tragen, für das was „Mir“ passiert. Das heißt, dass Problem von außen kommt. Das wiederum bedeutet, dass „Ich“ von Anfang an nie wirklich frei war, um zu Handeln wie „Ich“ es möchte, wie „Ich“ es für richtig halte. Wobei sich der Gedanke, dass uns jemand die Freiheit und unsere Grundrechte nehmen möchte, dass uns jemand kontrollieren möchte und es vielleicht auch schon tut, wiederholt. Betrachten wir das einmal anders.

4. Waren wir jemals frei?

Wie wir gesehen haben, kommen wir alle mit biologisch konditionierten Algorithmen auf die Welt und streben alle nach dem Erfüllen unserer Bedürfnisse. Wir wollen etwas, um die Gefühle zu erleben, die mit der Erfüllung des Ersehnten entstehen. Doch wenn unser Sehnen nicht erfüllt wird oder es sich um was handelt, was uns nicht gefällt, sind wir niedergeschlagen und deprimiert, voller Wut und Angst. Etwas wird uns entrissen, verweigert oder wird von uns verlangt. Möglicherweise von einer anderen Person oder durch äußere Umstände, wie einem Virus. Wir leben eingesperrt in Muster aus Verlangen in einem Leben, oft mit großem Leid gefüllt. Das Schlimme ist, das wir auch noch glauben, nicht wirklich frei sein zu können.

Alles, was uns umgibt, lebt in einem Gleichgewicht zusammen und entsteht und vergeht in Abhängigkeit von einander. Also ist unsere Freiheit doch von äußeren Dingen abhängig? Nein. Wir können und sollten Menschen, Aktivitäten und Dinge lieben, doch wir sollten uns nicht an sie klammern. Darin liegt Freiheit. Nun könnte man wieder von vorne anfangen und sagen „Ja, aber…“ Es gibt viel Leid. Sexuelle Übergriffe, soziale Ungerechtigkeit, Hunger… Wir könnten diese Liste weiter führen und kämen nie zu einem Ende. Wir würden nur wieder von vorne anfangen, uns zu streiten. Wer hat Recht? Wer hat Schuld? Wir sind hier wieder bei dem Kern des Problems angelangt. „Mein“ gegen „Dein“, Anhaftung und Abneigung. Machen wir aus „Mein“ gegen „Dein“, „Mein“ und „Dein“ indem wir einmal tief atmen. Das würde unsere Welt meiner Meinung nach lebens- und liebenswerter machen. Wir sollten Gleichmut und Gemeinsinn durch das Atmen zu entwickeln. Wir sind Teil dessen, was uns begegnet, also Teil des Ganzen. In dem Atmen sind wir alle Eins. So, wie die Wurzeln die Blätter nähren.

Melanie Mülle, 1. Juli 2020

Mitteilung Christoph Göb

Hier meine Gedanken als verhältnismäßig passives neues Einzelmitglied.
… es wird sich nicht das Geringste ändern. Von mir wird kein Beitrag gefordert werden, die prekär Bezahlten bekommen einen feuchten Händedruck zum Dank, die Fleischbarone heucheln Bedauern und geloben Besserung und bald ist der Himmel wieder voller Leute, die nicht für 19 Euro, sondern 23,50 Euro nach Malle düsen. Ich glaube nicht, dass die Krise daran etwas bessert, die Leute empfinden wahrscheinlich eher „Nachholbedarf“.

Viele Grüße, Christoph Göb
26. Juni 2020

Mitteilung Sadhu Panyasara

Eine Krise kenne ich nicht in Berlin, in den Monaten April und Mai kamen keine Leute mehr zur Meditation war auch verboten, und so konnte ich keine buddh. Lehrstunden mehr machen. Dafür habe ich meine Vipassana app ausgebaut und schicke jeden Tag eine weise Botschaft. Das hätte ich vorher nie getan. Das ist ein Fortschritt in der Krise, dann bekam ich von der Berliner Regierung corona Hilfsunterstützung, das beruhigte mich sehr, da ich glaubte, dass alle Buchungen gestrichen waren und ich alleine dastand. Aber durch die Lockerungen kamen neue Buchungen und meine Seminare sind schön belegt.

Mit viel Freude von Sadhu Panyasara. Mögen alle Wesen wirklich glücklich sein.
25. Juni 2020

Mitteilung Dieter Kleuser

Liebe FreundInnen,
Ich habe es nie und nimmer für möglich gehalten, dass solche Atavismen wie Hamsterei und Denunzierung wieder auftreten könnten. Dies alles habe ich immer mit Krieg und Naziherrschaft verbunden. Unglaublich. Wir fallen zurück in vor-aufklärerische Verhältnisse. Klopapier, Mehl, Hefe!!, Nudeln uvm.– die Regale sind leer.
Erkenntnis: unsere „Steinzeitgene“ müssen immer wieder von jedem einzelnen neu überwunden werden. Der Geist von Kultur und Zivilisation muss jeden Tag erneut genährt und befeuert werden. Große Lehrer und Vorbilder haben wir ja wirklich genug!

Mit freundlichen Grüßen, Dieter Kleuser
22. Juni 2020

Ich würde es als chance sehen, …

Als erstes musste ich lachen! Es hat doch mit dieser Coronakrise auch die lebensrealität vieler buddhistischer freunde und langjährig praktizierender regelrecht zertrümmert. Viele gewissheiten und ausgetreten strukturen des alltags sind weggebrochen.

Keine freunde treffen, selbstständigen brachen die einnahmen weg, ablenkung durch konsum war stark eingeschränkt und selbst die Dharmatreffen fielen aus, kurse und belehrungen wurden abgesagt.

Als künstler ohne bisher nennenswerten überregionalen erfolg war mir vieles von dem sehr sehr vertraut, mit dem jetzt ein grossteil der bevölkerung hier bei uns konfrontiert war und ist. Ohne finanzmittel, die über dem bundesdeutschen existenz minimum liegen ist es nun mal schwer soziale kontakte zu pflegen, konsum, gar fernreisen oder ähnliches gab es nicht und auch die Dharmakurse waren in der regel nur möglich, wenn sie jemand spendiert hat, da neben den gebühren ja auch immer anreise, unterkunft usw. anfallen.

Interessant war also zu beobachten, wie auf die neue situation reagiert wird. Wir Buddhisten gehen ja von der unbeständigkeit allen seins aus, meditieren über das abhängige entstehen und sind dann doch be- und getroffen, wenn der shutdown sozusagen unser innerstes trifft. Ich habe das schon öfters festgestellt z.b. auch, wenn ein Dharmafreund*in stirbt. Obwohl ja die erkenntnis u.a. der vergänglichkeit Buddha erst dazu gebracht hat, sich auf den weg zu machen letztendliche befreiung und somit erleichtung zu erlangen, ist die aufregung bei einem todesfall in der gemeinschaft immer sehr gross. Ich will damit nicht sagen, dass ich über den dingen stehe, jedoch habe ich beobachtet, dass eben unser westlicher lebensstil die konfrontation mit so mancher realtität, wie sie auch in den lehren beschrieben wird, das auseinandersetzen mit dem eigentlichen verhindert.

Ich würde es als chance sehen, wenn all diejenigen, denen jetzt die einnahmen weggebrochen sind, den gastronomen, reisebürobesitzern usw. diese erfahrung integrieren und sich mehr z.b. finanziell schwächer gestellten Dharma praktizierenden zuwenden, denn, weil die meisten buddhistischen gemeinschaften auf spenden angewiesen sind, trifft man dort doch sehr oft nur menschen von der mittelschicht an aufwärts. Dann gibt es noch einen anderen effekt, den ich bemerkenswert finde.

Ich wohne hier an einer vierspurigen strasse an der täglich rund 25.000 autos vorbeifahren. Jetzt war stille und wissen darum, dass sehr viele menschen jetzt irgendwie auch allein in ihren wohnungen sitzen, was für mich nichts neues war, da ich schon lange zuhause arbeite, und aus ihrem gewohnten trott herausgerissen sind, fand ich ein spannendes „bild“. Es tauchte die frage auf, wenn immer mehr praktizieren, sitzen wir dann quasi irgendwann als menschheit, jeder für sich, so mit abstand in unseren „höhlen“ und meditieren. Und, wenn alle erleuchtet sind, also keiner mehr der wiedergeburt unterworfen ist, gehen wir dann alle der reihe nach und der letzte macht quasi das licht aus. Ich fand das eine schöne vorstellung.

Jedes lebewesen will glücklich sein. Zu beobachten, dass in der stille der stadt auf einmal wieder die vögel zu hören waren, wildtiere sich ihren raum zurückeroberten war ein wichtige erfahrung. Die coronakrise hat doch vieles offengelegt, auf einmal ist jeder systemrelevant. Das ganze war also auch ein lehrstück des abhängigen entstehens. Wie verändert sich die gesellschaft, wenn dieses oder jenes förmlich wegbricht.

Es geht ja z.b. nicht darum das virus zu leugnen, aber auch ist dieses virus natürlich nichts, was auch sich selbst heraus entsteht, es hat seine ursachen und bedingungen und es führte uns in dieser globalen dimension gut vor, dass mit unserem gesellschftlichem leben genauso ist. Als ein an der gemeinschaft orientiertes wesen ist der mensch doch immer, gerade auch in einer demokratie, dem spagat unterworfen zwischem individuellem und kollektivem.

Manchmal möchte man schreien und grosse politik machen und doch bleibt einem im wahrsten sinne des wortes nichts anderen übrig, als vor der eigenen haustüre zu kehren und z.b. im sinne von karmayoga unachtsam weggeschmissenen müll vor der haustür aufzuheben und zu entsorgen. Diesen kleinen schritt kann jeder machen und er kostet nichts.

Mein sohn hat sich in seiner Bachelorarbeit mit einem text vom historiker Jürgen Osterhammel auseinandergesetzt, nämlich, dass „häufigkeitsverdichtungen von veränderungen“ historische schübe und umfassende transformationen anstossen können. Dies heisst ja nichts anderes, als dass auch die grosse politik, die z.b. das klima berücksichtigt, natürlich durch einzelne wahrnehmungen, entscheidungen und haltungen gemacht wird.

Die konfrontation, die der lockdown für viele hatte, weil sie auf einmal vereinzelt auf sich zurückgeworfen waren, ihr als selbstverständlich empfundener wohlstand einen kratzer abbekommen hat, kann doch über selbstreflexion ins positive gekehrt werden. Diese erfahrung der unbeständigkeit ist doch eine grosse motivation für die praxis der achtsamkeit und des mitgefühls.

Somit eröffnet doch auch für uns Buddhisten Corona eine grosse chance im kleinen anzufangen, die praxis des altruistischen denkens auszuweiten, bis daraus vieleicht ein historischer schub entsteht, der das glück aller lebewesen im fokus hat.


Integration ist keine einbahnstrasse, kultur permanenter wandel:
Die schreibweise ist u.a. an das Englische, Spanische und Türkische angepasst. Satzanfang und eigennamen werden gross geschrieben, der rest klein. Das „ss“ entstammt der schreibweise aus der Schweiz.

Karsten Neumann, stadtgründungsbüro Bethang, 21. Juni 2020

Ein neues Virus – ein neues Bewusstsein; Gedanken aus der Hospizbewegung

Tod und Sterben in der Gesellschaft

Tod und Sterben sind aus dem Erlebensraum unserer Gesellschaft weitgehend ausgegrenzt. Sie sind oft angstbesetzte Themen, die gerne und einfach weggeschoben, verdrängt, aus dem Alltag verbannt werden.

Die Hospizbewegung setzt sich seit mehr als 40 Jahren dafür ein, dass die Themen Abschied, schwere Krankheit, Sterben, Tod und Trauer wieder einen Platz in der Mitte unseres Lebens finden und die Begleitung schwer kranker und sterbender sowie trauernder Menschen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe und nicht nur von einer kleinen Gruppe spezialisierter Profis wahrgenommen wird.

Die Hospizbewegung hat sicher einen guten Teil dazu beigetragen, dass diese Themen heute „gesellschaftsfähiger“ geworden sind. Dennoch lief die Entwicklung der letzten Jahrzehnte so, dass das Sterben, heute mehr denn je, fest in den Händen einer immer weiter spezialisierten Medizin liegt. Eine (wertvolle) Palliativmedizin hat sich zum Spezialgebiet entwickelt (statt z.B. integraler Teil der Medizin zu werden), ganze Einrichtungen und besondere Stationen für sterbende Menschen jeden Alters sind entstanden, spezialisierte Dienste haben sich etabliert – alles unter den Rahmenbedingungen der Gesundheits­industrie.

Zu den ursprünglichen Ängsten vor Schmerzen, Abgeschoben-Werden und Einsamkeit kommen neue Ängste vor technisierter Intensivmedizin, vor Übertherapie am Lebensende, vor ´Nicht-Sterben-Dürfen´. Die Fragen nach Vorsorgemöglichkeiten und Patientenverfügung und der Ruf nach Selbstbestimmung am Lebensende bis hin zum Recht auf assistierten Suizid sind deutlich zu hören.

Ende Februar, kurz nach dem Urteil zum Paragraf 217 StGB, in dem das Bundesverfassungsgericht nicht nur ausdrücklich ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ auch mit Hilfe Dritter anerkennt, sondern „die selbstbestimmte Verfügung über das eigene Leben“ als einen „wenngleich letzten, Ausdruck von Würde“ formuliert, beginnt die Corona Pandemie: Bilder aus anderen Ländern von überlasteten Kliniken und von Lastwagen, die Särge wegfahren, unwürdige Einblicke in Intensivstationen, düstere Prognosen einzelner Virologen und täglich kumulierte Infektionszahlen und Sterberaten, ohne dass irgendjemand weiß, wie viele Tote es ´normalerweise´ gibt, gehen durch die Medien. Angst wird geschürt. Gesundheit – nunmehr ausschließlich im Blick auf Ansteckung durch das neue Virus – ist das höchste Gut, dem alles untergeordnet wird, finanziell, gesundheitlich und psychosozial. Die Welt wird angehalten, Grenzen werden dicht gemacht, soziale Distanz ist das Gebot der Stunde, und große Gruppen von Menschen werden entrechtet und isoliert oder isolieren sich selbst. Konkrete Sorge, diffuse Angst machen sich breit, gefolgt von einem Spektrum an Verhalten von sich fügender Folgsamkeit und Glaube an Beherrschbarkeit über Widerstand bis zum bekannten Nicht-Hinschauen-Wollen.

Der potentielle Tod steht buchstäblich weltweit allen vor Augen. Unser aller Vulnerabilität, nicht nur die der Risikogruppen – auch junge, anscheinend gesunde Menschen sterben – ist spürbar. Ebenso wird unsere gegenseitige Abhängigkeit erfahrbar – zwischenmenschlich, wirtschaftlich, politisch. Bewusst wird uns diese Abhängigkeit auch gerade dadurch, dass der natürliche Impuls, in der Krise Gemeinschaft zu suchen, eingeschränkt wird.

Plötzlich kommt weltweit ins Erleben vieler Menschen, was die Hospizbewegung in der Begleitung von Kranken, Angehörigen, Trauernden und ihrem sozialen Umfeld kennt:

  • Die Konfrontation mit der Angst vor Endlichkeit; der Schock, dass man nicht vorbereitet ist und die Befürchtung, dass man diese Bedrohung nicht wie sonst managen kann.
  • Die Erfahrung, plötzlich fremdbestimmt (Social Distancing, Ausgangssperren, Versammlungs­verbot, Maßnahmen der Notfallmedizin) und aus Angst vor einer Krankheit zwar geschützt, aber damit auch isoliert zu werden.
  • Das Gefühl, was es bedeutet, einen Nahestehenden – womöglich in Not – nicht sehen, nicht begleiten, nicht berühren, nicht verabschieden zu dürfen oder bei Ritualen, die den Halt und Trost der Gemeinschaft bedürfen (z.B. Bestattungen), nicht dabei sein zu dürfen oder körper­lichen Abstand halten zu müssen.

Die damit verbundenen Emotionen werden zu einer kollektiven Erfahrung. Unerwartet und gegen unseren Willen sind wir in die Krise gestoßen worden, die in China ihren Ursprung nahm. Das chinesische Schriftzeichen für Krise, übrigens, besteht aus zwei Ideogrammen, das erste Ideogramm bedeutet für sich alleine genommen ´Gefahr´, das zweite ´Chance´. In der Zusammensetzung wird daraus das Wortzeichen ´Krise´. Jede Krise birgt also auch Chancen. Die Hospizbewegung begleitet seit Jahrzehnten Krisen, die immer wieder auf individueller Ebene erlebt und durchaus unterschiedlich und vielfältig bewältigt werden. Können die hier entwickelten Sensibilitäten vielleicht auch auf einen größeren gesellschaftlicheren Rahmen übertragen werden?

Über das Leben lernen mit der Integration seines Gegensatzes, der Möglichkeit des Todes

Alle Gegensatzpaare sind inhärent miteinander verbunden. Es gibt keine Stärke ohne Schwäche, keine Freiheit ohne das Erleben von Begrenztheit und auch das Leben wird intensiver und reichhaltiger erfahren, wenn sein Gegenteil, der Tod, im eigenen Bewusstsein einen Platz gefunden hat. Die Chance zu dieser intensiveren Reichhaltigkeit liegt also in einer Bewusstseins-Haltung, in einer Präsenz. Genau dies ist verankert in einem der Leitsätze der Hospizbewegung:

„Hospiz ist die große Idee, dass wir Menschen einander im Sterben nicht allein lassen sollten. Hospiz ist eine Haltung Sterbenden und ihren Angehörigen gegenüber; ein Verständnis von Leben, zu dem Krankheit, Leiden und Sterben, Tod und Trauer dazugehören.“

Ida Lamp

Das Leben im Bewusstsein seiner Endlichkeit zu bedenken, zu gestalten und zu genießen, bedeutet in Verbundenheit zu sein und zu bleiben und nicht vor Angst zu erstarren oder sich wegzusperren. Angst vor dem letztlich Unvermeidlichen und daraus sich ergebendes Wegschauen und Verdrängen sind letztlich Fluchtstrategien. Akzeptabel für den Moment aber als Dauerstrategie vertane Chance. Sören Kierkegaard war der Philosoph, der sich intensiv mit dem Thema Angst auseinandergesetzt hat: „Die Angst ist die Begierde nach dem, vor dem man sich fürchtet.“ Und er führt aus, dass man dankbar sein sollte um die Angst, denn sie sei ein Fingerzeig, welche Themen es noch zu durchdringen und zu bewältigen gelte. Wirklich Ruhe finden könne nur der, der Angst erlebt hat. Eine solche Haltung zum Phänomen Angst erlaubt neue Handlungsstränge, erlaubt ein Suchen nach Ursachen, nach Wirkungen und nach Veränderungsmöglichkeiten. Corona und Angst als Chance.

Die konkrete Vorstellung, dass der eigene Tod in den Möglichkeitsraum rückt, kann durch Krisen, auch solche wie Corona, ausgelöst werden. Wenn dem so ist, hat es manchmal die wertvolle Funktion eines Weckrufes. Eine vielleicht überfällige Reflektion, wie das Leben gelebt wurde und wird. Mit der Vorstellung von begrenzter Zeit können Entscheidungen und Klärungen beschleunigt werden: Was gilt es endlich zu akzeptieren? Was gilt es noch zu erreichen? Was ist jetzt loszulassen?

Dies führt auch dazu, eine wichtige menschliche Tugend wiederzuentdecken und zu fördern: die Hoffnung. Dieses Prinzip der Hoffnung (Ernst Bloch: „Hoffnung ersäuft Angst“) ist eine wertvolle Ressource, sogar bis ganz zum Schluss an unser Lebensende reichend. Cicely Saunders, die Begründerin der modernen Hospizbewegung, hat dies prägnant auf den Punkt gebracht:

„Hospiz ist kein Ort, an dem wir uns einrichten, sondern eine Hoffnung, mit der wir uns begegnen.“

Cicely Saunders

Aller Voraussicht nach war Corona weder die letzte Pandemie, noch ist jede*r Einzelne von uns vor lebensbedrohlichen Krankheiten gefeit. Sensibilisiert durch die jüngsten Erfahrungen und im Vorfeld einer möglichen nächsten Krise, erscheint es lohnend über folgendes zu reflektieren: Was macht mein Leben lebenswert? Für was/wen bin ich dankbar? Wen möchte ich in einer schweren Krise um mich haben? Was wäre für mich am wichtigsten, wenn die Zeit knapp würde? Welche Einschränkungen wäre ich bereit, auf mich zu nehmen? So ist nicht nur eine Patientenverfügung sinnvoll, die meinen Willen in medizinischen Fragen klären hilft, sondern drüber hinausgehend auch eine Reflektion, was ich meinen Lieben über meine Haltungen, meine Werte und Wünsche mitteilen möchte.

Über Würde, Werte und Selbstbestimmung

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das ist der großartige Satz des §1 unseres Grundgesetzes, noch immer getragen im breiten Konsens unserer Bevölkerung. Für Würde setzt sich auch die Hospiz­bewegung ein, besonders für würdiges Sterben, wobei Sterben hierbei als wichtiger Teil des Lebens verstanden wird. Würde bedeutet in diesem Kontext, mit all seinen Bedürfnissen wahrge­nommen zu werden: den körperlichen, den psychischen, den sozialen und den spirituellen.

Corona führte zu Besuchsverbot in Krankenhäusern und in Pflegeheimen. Die Begleitung schwer kranker Menschen wurde – ungeachtet der individuellen Person und Situation – quasi amtlich verboten. So nachvollziehbar diese Maßnahmen zunächst waren, um die erhöhte Ansteckungsgefahr in Einrichtungen zu mindern, so deutlich wurden auch Gefühle der Entwürdigung, der Hilflosigkeit, der Fremdbestimmung, der Unangemessenheit spürbar. Besonders belastend wirkt die sowohl für die Isolierten als auch für die Angehörigen und Freunde, denen der Kontakt verboten wurde, vor der Perspektive begrenzter Lebenszeit. Auch wenn es in der stationären Altenpflege teilweise sehr kreative Strategien gab, die Bewohnerinnen und Bewohner spüren zu lassen, dass sie nicht allein sind, haben doch viele – gerade auch dementiell erkrankte Bewohner*innen – nicht verstanden, warum sie keinen Besuch mehr bekommen und darunter gelitten. In den Kliniken und Praxen hat es dazu geführt, dass Menschen mit Beschwerden weniger häufig zum Arzt gingen und zwar nicht aus Angst vor Ansteckung, wie oft kolportiert wurde, sondern aus Angst, im Fall einer Hospitalisation alleine bleiben zu müssen.

Es schien plötzlich, als sei die Würde im hospizlichen Sinn eher ein Luxusgut für ´normale´ Zeiten als ein geltendes Recht in Krisen. Viele Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner, wie auch Seniorinnen und Senioren im häuslichen Umfeld, hatten relativ wenig Angst vor dem Virus. Viele wissen, dass sie zur erklärten Hoch-Risikogruppe gehören und gleichwohl spürte man eine Haltung von Gleichmut: „Wir haben schon ganz anderes erlebt und überstanden“. Und in der Tat, gehören doch die meisten zur Generation der Kriegskinder.

So weitet sich bei der Frage, um wessen Angst es eigentlich geht, der Blick: Es ist nicht zuletzt die Angst der Verantwortlichen eines Systems (Gesundheitssystem, Region, Institution). Auch in der Hospizarbeit ist man sensibilisiert für die Frage, um wessen Angst es eigentlich geht, wenn zum Beispiel Behandlungsziele neu definiert werden müssen, weil etwas oder jemand an Grenzen stößt. Es ist durchaus nicht immer die Angst der Kranken, die zu Entscheidungen führt, oft sind es die Ängste der Angehörigen, der Mediziner oder der Pflegekräfte (vor den Konsequenzen).

Tritt die (eigene) Endlichkeit ins Bewusstsein, kann es nicht mehr nur um Gesundheit im Sinn von Abwesenheit von Krankheit gehen, sondern stattdessen geht es um subjektives Wohlbefinden. Für Schwerkranke und Betagte gibt es oft Wichtigeres als die Verlängerung ihres Lebens. Laut Umfragen machen sich die meisten Gedanken/Sorgen vor Schmerzen oder davor, geistig nicht mehr wach zu sein, anderen zur Last zu fallen und den Kontakt mit Angehörigen und Freunden nicht halten zu können. Menschen in der letzten Lebensphase möchten nicht unbedingt Zeit für ein ungewisses Später opfern. Der Fokus rückt meist ganz auf die Gegenwart.

Wenn wir durch die Maßnahmen gegen Corona also etwas lernen können im Kontext Würde, dann vielleicht, dass wir uns als Gesellschaft in einer Krise, die bedrohlich für alle Menschen ist, zunächst sehr schnell und ganz besonders den Schwachen, den Ausgestoßenen, den Bedürftigen und ihrem Umfeld zuwenden sollten. Und zwar nicht, indem man über sie bestimmt und sie isoliert, sondern in dem man sie einbezieht, ihnen trotz notwendiger Grenzziehungen Handlungsspielraum gibt und (mit)bestimmen lässt. Um jemand an Entscheidungen partizipieren zu lassen, braucht es allerdings Zeit und Zuwendung von anderen Menschen, sowie die Gewissheit, dass unsere psychosozialen Bedürfnisse wesentlich sind für unser Wohlbefinden. Es bedarf einer Haltung, in der man sich nicht um den anderen kümmert, weil er schwächer, kränker ist, sondern in der beide Seiten Sorge umeinan­der tragen und sich auf Augenhöhe begegnen: tätiges Mit-Gefühl statt Mit-Leid, eine grundlegende Haltung der Hospiz­arbeit.

Über den Stellenwert der Gemeinschaft

In der Corona-Krise sind nicht nur alte und kranke Menschen durch Verbote und Gebote eingeschränkt worden. Auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ihr Team verlieren, sei es durch Home-Office oder Kündigung, Musikerinnen und Musiker, Sportlerinnen und Sportler, die Gemeinschaft mit Abstand nicht leben können, und viele andere sind betroffen. Vor allem die Menschen, die gerade einen Ablöseprozess bewältigen müssen, treffen die Maßnahmen besonders. Psycho­sozial gesehen sind die Vulnerabelsten in unserer Gesellschaft vielleicht sogar Jugendliche und junge Erwachsene im Abnabelungsprozess, die ihre Peergroup, aber auch Lehrerinnen und Lehrer, Trainerinnen und Trainer oder Großeltern als Resonanzboden für ihre neue Identitätsentwicklung benötigen. Gemeinschaft ist nicht nur für junge Menschen ein wichtiger Faktor in der Heranbildung und Reifung ihrer Resilienz. Auch in der Begleitung schwer kranker Patienten zeigt sich, dass Zugehörigkeit und eine tragende und sorgende Gemeinschaft wichtige Faktoren sind, um den Verlust von Gesundheit und letztendlich des eigenen Lebens oder die Trauer um einen Angehörigen bewältigen zu können. So ist Gemeinschaft nicht nur für Risikogruppen in einer Abschiedsphase gegen Ende ihres Lebens essentiell, sondern für alle Menschen, die im Wandel stehen. Diese Aspekte dürfen nicht geringgeachtet werden.

Der Mensch ist in erster Linie ein soziales Wesen und vor allem in Phasen von Instabilität auf innigen, auch körperlichen Kontakt angewiesen. Allein die Präsenz eines Menschen, die Bereitschaft da zu sein, ist hilfreiche Gnade für eine Betroffene oder einen Betroffenen, die oder der sich in einer schwierigen Situation alleingelassenen sieht. Auf welchem Weg auch immer: Kontakthalten sollte höchste Priorität haben, um Angst, Verwirrung, Einsamkeit und Depression vorzubeugen. Vereinsamung ist – schon vor und unabhängig von Corona – die größte Herausforderung in der Versorgung betagter sowie physisch und psychisch kranker Menschen.

Viele Patientinnen und Patienten und viele ältere Menschen haben sich gefragt, was ihnen wirklich wichtig und wert ist. Ob sie die ihnen verbleibende Lebenszeit eher im Schutz einer Isolation oder doch lieber – das erweiterte Risiko bewusst in Kauf nehmend – mit ihren Lieben verbringen wollen. Konsequente regelhafte Isolation mag ein Gebot der Stunde sein, aber schon kurzfristig taucht die drängend zu klärende Frage auf, wie diese Grenzziehung mit dem ebenso legitimen wesentlichen Bedürfnis nach Gemeinschaft vereinbart werden kann.

Gemeinschaft ist nicht nur für den Betroffenen, potentiell isolierten Menschen wichtig, sondern ebenso für die Mitglieder der begleitenden Gemeinschaft. Auch hier hat die Hospizbewegung lange Erfahrung, denn sie nimmt sowohl die Bedürfnisse der Kranken als auch die der Angehörigen in den Blick. Kein Mensch ist eine Insel und so gibt es auch keine absolute, sondern nur eine relationale Autonomie, die eine bewegliche Balance finden muss zwischen dem einzelnen betroffenen Menschen und den Bedürfnissen der mit ihm Verbundenen (Familie, Freunde, Pflegekräfte).

Der Mensch lebt nicht nur vom Brot allein. Leben heißt nicht allein Überleben. Und die Frage sowohl nach Lebensqualität als auch nach Sinn zeigt sich eng verbunden mit einem Austausch, der in einer Gemeinschaft stattfindet. So überraschten die Ergebnisse der Hundertjährigen-Studie (Heidelberg) auch damit, dass es der wichtigste Wunsch sei, sich noch um jemand kümmern zu können, sprich: Anteil an Anderen nehmen zu können.

Es ist denn vielleicht nicht allein die reflexartige Verlängerung von Leben, sozusagen um jeden Preis, sondern vielmehr die Frage nach Bedürfnis und Sinnerfüllung, kurz Lebensqualität, viel stärker ins Zentrum der Überlegungen zu rücken. Eine Kernbotschaft der Hospizbewegung, wieder als Zitat von Cicely Saunders, drückt dies prägnant aus

„Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“
Cicely Saunders

Ein neues Virus, eine neue Krise, eine neue Chance und vielleicht ein durch diesen Prozess geschärftes neues Bewusstsein? Wenn wir uns zu diesem möglichen neuen Bewusstsein etwas wünschen dürften, dann wären dies die drei diskutierten Aspekte:

  • Leben leben, frei und intensiv – vor dem Bewusstsein seiner Endlichkeit,
  • Würde achten, unsere eigene sowie die der Schwachen in unserer Gesellschaft und
  • den Wert der Gemeinschaft neu erkennen aus einer Haltung von Mitgefühl und Liebe heraus.

Petra Hinderer, Dipl. Psych., Leitung Hospiz Konstanz e.V.
Martin Roesch, Psycho-Onkologe in Konstanz
18. Juni 2020

Was kommt nach der Krise, was haben wir daraus gelernt und nehmen es mit ins Leben „danach“?

Gelernt haben meine Mit-Praktizierenden und Mit-Meditierenden daraus, dass man durchaus enger zusammenrücken kann – obwohl man sich nicht nahekommen darf. Das äußert sich in Hilfsbereitschaft, indem Einkaufshilfe angeboten wird und durch häufigere Kontakte über Telefon, Email o.ä. Dieses Mitgefühl und die Hilfsbereitschaft werden hoffentlich erhalten bleiben.

Was wir auch erfahren haben, ist die Fähigkeit, einfacher zu leben: weniger essen zu gehen, keine Veranstaltungen zu besuchen, sich stattdessen mit ganz anderen Dingen zu beschäftigen, die man vergessen hatte. Vielleicht hat man mehr in sich hineingeschaut, wie habe ich gelebt, war ich immer mitfühlend, liebevoll, habe ich mich mit anderen Menschen gefreut und habe ich Gleichmut praktizieren können? Wenn noch nicht so ganz, bin ich bereit, daran zu arbeiten, es besser zu machen? Kann ich Menschen, die ich nicht mag, anlächeln und sie so sein lassen wie sie sind, weil ich die bei ihnen abgelehnten Eigenschaften ja auch in mir habe? Es ist sicher keine einfache Erkenntnis und Arbeit, aber wir hatten u.U. die Zeit dafür damit anzufangen.

Wir hoffen, dass diese Gedanken und Bemühungen erhalten bleiben, dass wir nicht so gleichgültig, egoistisch, gierig, voller Ablehnung weiterleben wie vorher. Natürlich sind damit nicht alle Menschen gemeint, es gab und gibt schon immer solche, die das soeben beschriebene nicht lebten und leben.

Möge dieses Zusammenrücken weiter so bleiben – das ist unser Herzenswunsch und wir, unsere kleine Meditationsgruppe bemühen uns, ihn umzusetzen.

Lieben Gruß aus dem schönen Fichtelgebirge

Rosemarie Schmiedel, 18. Juni 2020

In was für einer Welt wollen wir leben?

Dieser Frage müssen wir uns jetzt stellen, denn dieses ist ein außergewöhnlich geeigneter Moment dazu. Denn was niemand für möglich hielt ist eingetreten: Unsere mittlerweile weltweit nonstop-laufende und immer schneller agierende „Megamaschine“ der Konsumwirtschaft stand durch den Lockdown durch die Corona-Krise nahezu still. Und im Moment sind wir gerade wieder dabei, sie langsam anzufahren. Und wie bei einem großen Stein, der an einem abwärts geneigten Hang langsam ins Rollen kommt, lässt sich die Richtung rollender Energie bei langsamer Bewegung noch gut beeinflussen.

D.h., wir können jetzt unserer Welt eine neue Richtung geben, können z.B. alle wirtschaftliche Handlungen und die damit verbundenen Errungenschaften, die wir jetzt nach dem Lockdown wieder aktivieren bzw. nutzen wollen, hinsichtlich ihrer nachhaltigen, sozialen und umweltgerechten (deutlicher: mitweltgerechten) Auswirkungen wie auf einem Prüfstand begutachten und dann erst freigeben. Was diesen Kriterien nicht standhält, muss mittel- bis kurzfristig gestoppt bzw. abgebaut werden.

Die damit verbundene Erhaltung der Arbeitsplätze war bis Corona ein „Totschlag-Argument“, dem sich niemand aus Angst zu widersetzen traute. Die Angst vor dem Tod (durch Corona) war zu unserem Glück stärker, so dass wir jetzt auf Grund der aktuellen Erfahrungen ein für alle Mal sagen können: „Es geht nicht“ heißt „Ich will nicht“.

Natürlich wird der (auch für unseren Planeten) lebensnotwendige Anspruch auf nachhaltiges, soziales und mitweltgerechtes Wirtschaften „Arbeitsplätze“ kosten. Um dies lösen zu können gibt es mittlerweile viele realistische Ansätze (Bedingungsloses Grundeinkommen, Selbstversorgung, Tauschhandel, Reparatur von Bestehendem, eine Kultur der Genügsamkeit, etc.), ohne auf relevante Lebensqualitäten verzichten zu müssen.

Über ein notwendiges nachhaltiges, soziales und mitweltgerechtes Wirtschaften brauchen wir auf einem endlichen Planeten nicht diskutieren, dieses kleine Einmaleins versteht jedes Kind (zudem haben die Wissenschaftler weltweit dies jetzt auch ausreichend erkannt und bestätigt 🙂

Lasst uns also jetzt gemeinsam ein „neues Feld beackern“ 🙂

Viele Menschen haben während des Lockdown, wenn sie nicht gerade selbst durch Corona betroffen oder in systemrelevanten Tätigkeiten bis zur Belastungsgrenze gefordert waren, auch eine vielleicht für sie unbekannte innere Ruhe, eine innere Stille, erfahren können.

Aus welcher sie vielleicht auch den Irrsinn unseres immer schneller drehenden „Hamsterrades“ spüren konnten? Menschen, die sich den fatalen Auswirkungen unseres gesellschaftlichen (Zeit-) Drucks bewusst wurden: Warum packen wir eigentlich immer mehr Tätigkeiten in unsere Jobs, in unseren Tagesablauf, warum arbeiten wir an immer schnelleren und effizienteren Methoden, um noch mehr „erledigen“ zu können? Durch den Blick auf das, was noch erledigt werden soll, erledigt werden muss, verlieren wir den eigentlichen und einzigen Moment im Leben, der uns wirklich zur Verfügung steht:

Das Hier und Jetzt.

Warum Leben wir? Was ist der Sinn des Lebens? Um über ein „Apple iPhone XS Max Smartphone iOS 256 GB in Space Grau“ zu verfügen, um Probleme technisch zu lösen statt ihre Ursachen zu beseitigen?

In was für einer Welt wollen wir leben?

Wer sein Herz fragt, bekommt sicher eine Antwort, wenn vielleicht auch zuerst noch diffus. Und viele Antworten werden vielleicht auch ähnlich sein, wenn man sie im Licht der „9 Grundbedürfnisse des Menschen“ nach Marschall Rosenberg (Gewaltfreie/Wertschätzende Kommunikation) betrachtet: Wohlbefinden, Sicherheit, Liebe, Empathie, Kreativität, Geborgenheit, Spiel und Erholung, Autonomie, Sinn/Aufgabe.

„Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich“ schreibt auch Charles Eisenstein. Sicher werden viele der Wünsche mit materiellen Dingen verbunden sein. Aber wenn wir etwas tiefer auf diese Dinge schauen, werden wir vielleicht auch ein dahinter liegendes Bedürfnis erkennen. Denn, um noch einmal Marschall Rosenberg zu erwähnen, hinter den Handlungen des Menschen liegt die versuchte Umsetzung einer Strategie, um letztendlich einem (Grund-)Bedürfnis nachkommen zu können.

„Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich“.

Im Prinzip leben wir bereits in dieser Welt, denn es gibt nur die Eine. Wir dürfen nur unsere eigene Einstellung zu unseren Mitmenschen nicht außer Acht lassen, die Kraft unserer eigenen Gedanken erkennen. Ein einziges Wort reicht, an welchem unser ganzes Dilemma der eigenen Wertung unserer Empfindungen sofort deutlich wird: Neid. Oder: Eifersucht. Oder: Scham. Oder: Hass. Ich möchte damit sagen, dass selbst wenn es die perfekte heile Welt schon gäbe, die meisten Menschen sie aller Wahrscheinlichkeit nach (noch) gar nicht so sehen und genießen könnten wie er/sie es gerne täte.

„In was für einer Welt wollen wir leben?“ – „Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich.“
Beide Sätze erzeugen einen Blick in die Zukunft. Um sie mit diesen inneren Bildern Wirklichkeit werden zu lassen, können wir im Kern zwei Handlungsstränge verfolgen:

  • Einer gesellschaftlichen Entwicklung (hier hat sich in unserer Demokratie gerade jetzt zu Corona-Zeiten eine enorme politische Gestaltungsfähigkeit gezeigt)
  • Einer persönliche Entwicklung (oder besser: Einer Freilegung der menschlichen Natur)

Beide Handlungsstränge bestärken sich gegenseitig.

In was für einer Welt wollen wir leben?

Es wird immer wieder nach Erzählungen, nach Bildern dazu gefragt. Diese Narrative können meines Erachtens aber immer nur zunächst Teile dessen sein, was dann auch Wirklichkeit wird. Denn keiner von uns kann in die ganze Zukunft sehen. Eine Einflussnahme auf das Weltgeschehen wie Corona es bewirkt hat, hatten sich wahrscheinlich im Jahr 2019 auch nur sehr wenige Menschen vorstellen können. Das heißt, dass wir uns nur Schritt für Schritt nach vorne bewegen können, denn nach jedem Schritt kann sich eine neue Weggabelung auftun, die vorher noch nicht sichtbar war.

Aber wir gehen ab jetzt hoffentlich verstärkt gemeinsam, so wie es die Corona-Krise bereits schon eingeleitet hat. Geführt durch unser Herz und Hoffnung durch gemeinsames Handeln:
nachhaltig, sozial, mitweltgerecht, mitfühlend, solidarisch, selbst organisierend, gerecht, freiheitlich, basisdemokratisch, gewaltfrei, austauschend, zugewandt, ausgleichend, verantwortungsvoll, offen und wertschätzend.

Klaus Pons, 18. Juni 2020

All we need is less – Wie uns die Corona-Krise in eine Kultur des Genug führen kann

SARS-CoV-2 – so heißt das kleine Biest, das uns näher rückt als die Erderhitzung und der Klimawandel. Näher als der Artenrückgang und das Insektensterben. Näher als die Lebensbedingungen unserer Nachkommen und die Sorgen um die Zukunft der Menschheit. Denn das Corona-Virus kann hier und heute ganz real in unsere Lungen eindringen und uns töten.

Auf diesen direkten Angriff haben wir schnell reagiert – individuell und als Gesellschaft. Um ihn abzuwehren, haben wir Maßnahmen ergriffen, die uns bislang undenkbar schienen: Grenzen und Schulen schließen, Ausgangssperren verhängen und einhalten, Kontakte meiden, Spiel und Sport ausfallen lassen …

Ja, wir können nicht nur auf diese Weise agieren, sondern wir tun es tatsächlich. Weil wir uns so entschieden haben. Weil es notwendig und richtig ist. Weil es viel Mitgefühl, Solidarität und Achtsamkeit enthält. Aber derart zu handeln ist nicht das Leben, das wir eigentlich führen wollen. Es ist erzwungen, einseitig und extrem. Es ähnelt eher einer Askese denn einem sozialen Verhalten.

Doch ist unser normaler Lebensstil nicht gleichermaßen einseitig? Sind unsere bisherigen Gewohnheiten nicht ebenfalls extrem? Sind sie nicht sogar teilweise zwanghaft? Bringen wir uns nicht ständig mit unserer eigenen Kraft in ein System ein, das uns umgekehrt mit den Peitschen Wachstum und Wettbewerb nötigt, einen Überfluss an Dingen anzustreben und die Grenzen zu übertreten, die uns die Biosphäre vorgibt? Hatte der Ökonom und Nobelpreisträger Paul A. Samuelson nicht recht, als er ausrief: „Wir sind eine Gesellschaft des Ich, Ich, Ich – und jetzt. Wir denken nicht an andere und auch nicht an morgen“? Sieht so das Leben aus, das wir wirklich führen wollen? Ist das sozial?

Die aktuellen Ereignisse belegen erneut die Fragilität unserer Wirtschaftsform. Turbulenzen gab es bereits einige: Die Asien-Krise in den 90er-Jahren, der 9/11-Schock 2001, die Banken-Finanz-Krise 2008, die Euro-Krise 2012. Aber keine davon offenbart die Fragwürdigkeit und die Instabilität eines entgrenzten Marktes so deutlich und so umfassend wie die Corona-Pandemie.

Die gegenwärtige Gestaltung der Wirtschaft vollzieht sich nicht nur ständig am Rande eines Crashs, sondern ist auch abhängig von der aktiven Mitwirkung der Bevölkerung. Wirtschaftliche Strukturen sind nämlich keine Naturgesetze, sondern Ergebnisse jahrhundertelang gewachsener kultureller Übereinkünfte. Unzählige Menschen haben sich an ihrer Entwicklung beteiligt. Als ein verallgemeinertes System zur Erfüllung individueller materieller Sehnsüchte ist die heutige Ökonomie jedoch auf Mehrung und Steigerung angewiesen. Wir leben in einer Art Gier-Wirtschaft, die nie zufrieden, der nie etwas genug ist.

Aber wir sind grundsätzlich fähig, diesen egoistischen und prinzipiell unbefriedigten Zustand zu überwinden. Kulturelle Vereinbarungen, also auch wirtschaftliche Strukturen und Ziele lassen sich willentlich ändern. Deshalb sollten wir sie unvoreingenommen überprüfen und Irrwege verlassen. In der Corona-Krise sind wir – wenn auch gezwungenermaßen – in der Lage, mit weniger Stress, Mobilität, Zirkulation, Kontakten, Produktion und Konsum auszukommen. Wir lernen, dass es sich für eine Gemeinschaft lohnt, sich der Situation angepasste Maßstäbe zu setzen und sie einzuhalten.

Dieses Verhalten sollten wir gründlich untersuchen. Tun wir nicht gerade etwas, was wir uns zumindest teilweise auch schon vorher mehr oder weniger heimlich gewünscht haben? Üben wir nicht eine Art Meditation (anhalten und sich die Welt genau anschauen)? Haben wir nicht schon häufiger mit dem Buddha sympathisiert, der vor 2.500 Jahren Gier (mehr haben wollen), Neid (mehr als andere haben wollen) und Verblendung (die Folgen nicht wahr haben wollen) als zentrale Ursachen von Leid identifiziert hat? Weisen uns Überlegungen wie „Stopp! Genug! Es reicht! Kein Mehr mehr!“ nicht direkt darauf hin, wie integer und solidarisch es ist, gut überlegte Wertvorstellungen einzuhalten?

Nach der Corona-Krise sollten wir bei all unseren Aktivitäten die Haltung „Genug“ berücksichtigen. Dieses Genug wird selbstverständlich nicht nur die Befriedigung unserer Grundbedürfnisse (Nahrung, Kleidung, Wohnung usw.), sondern auch alle Bedingungen für ein gutes Leben enthalten (Austausch, gegenseitige Hilfe, Solidarität, Nächstenliebe, geistiges Wachstum usw.). Und uns gleichzeitig zeigen, wie heilsam und beflügelnd es ist, die Beziehungen zu unseren Mitmenschen ohne kommerzielle Absichten zu gestalten und auf diese Weise eine Nähe zu erfahren, die frei ist vom Verlangen „Was habe ich davon?“

Auf Grundlage einer zufriedenen Genügsamkeit wird Vieles, was im Vergleich zum bisher gewohnten Trott zunächst wie Verzicht und Reduktion erscheinen mag, bald zu nachhaltig zukunftsfähigen Ergebnissen führen: Kleinerer ökologischer Fußabdruck, sinnvollere Vielfalt im Beruf, weniger Lärm und Eingriffe in die Natur, Kooperation statt Konkurrenz, Souveränität und Integrität statt eines permanenten Gefühls von Mangel und Widersprüchen etc.

Als Menschen nehmen wir einen Logenplatz im Universum ein. Wir können bewusst eine Kultur des Genug anstreben. Die Einstellung „Es reicht!“ kann uns in allen Lebensbereichen, in denen wir – mit verheerenden Auswirkungen auf die Biosphäre und nachfolgende Generationen – unseren Eigensinn übertreiben, auf einen durchdachten, ausgewogenen und heilsamen Weg zurückführen.

Auf diese Weise lässt sich ebenfalls erkennen, dass der Klimawandel und das Artensterben letztlich wesentlich bedrohlicher für uns sind wie das Corona-Virus. Das mag nicht für alle jetzt lebenden Menschen gelten, aber auf jeden Fall für unsere Kinder und Enkelkinder, wobei sich die Rücksichtslosigkeit der heutigen Handlungen noch dadurch erhöht, dass unsere Nachkommen ihre Vergangenheit (also uns!) nicht mehr erreichen und ändern können.

Es gilt, möglichst umgehend das Ruder herumzureißen und den Wachstums-Mehrungs-Steigerungs-Maximierungs-Wahn zu beenden: All we need is less. Für einen derartigen Systemwandel ist jedoch eine neuartige Gewichtung unserer Ziele und Beweggründe nötig. Neue Motive braucht das Land. Genauer: Diese neuartigen Antriebskräfte benötigt jeder und jede von uns. Denn letztlich sind es immer einzelne Menschen, die konkrete Handlungen vollziehen und diese Kultur des Genug verwirklichen – selbstverständlich individuell und regional unterschiedlich, denn die Erde ist groß und vielfältig.

Anregungen für diese Umorientierungen gibt es reichlich. Hier sind vier davon:

  1. Der Buddha entdeckte und erforschte einen mittleren Weg. Er lehnte Überfluss und Völlerei ebenso ab wie Askese und Armut. Zudem überwand er die Vorstellung von einem eigenständigen Selbst, indem er die existenzielle Verbundenheit des Menschen mit dem Dasein in den Mittelpunkt seiner Lehre rückte. Buddha hätte den Begriff Mitwelt verwendet, um die Verantwortung des Einzelnen für den nachhaltigen Schutz der Natur zu begründen. Er empfahl Samtusta: Zufrieden sein und Freude finden am Bewirken bzw. am Engagement.
  2. Das Abendland beruft sich seit rund 2.500 Jahren auf vier Kardinaltugenden, nämlich Gerechtigkeit, Mäßigung, Tapferkeit/Mut und Weisheit/Klugheit.
  3. Sehr hilfreich sind die Überlegungen von Ernst F. Schumacher in seinem 1973 verfassten Buch „Small is beautiful – Rückkehr zum menschlichen Maß“.
  4. Vielleicht reicht auch ein Seufzer à la Ödön von Horváth, um dem wertenden Leistung-Ergebnis-Konsum-Eigentum-Vergleichs-Stress zu entkommen: „Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu“.

Die Corona-Krise ist der tiefste Einschnitt in unsere Zivilisation seit dem II. Weltkrieg. Unser Zusammenleben wird sich nie wieder so gestalten lassen wie zuvor – vor allem nicht in den Bereichen Ökonomie, Konsum und globale Mobilität. Dieser Wandel wird verstärkt durch den Aufschwung, den die Digitalisierung durch diese Krise erhält. Eine Rückkehr ins alte Fahrwasser („Zurück auf Los!“) sollten wir gar nicht erst versuchen. Wir sollten uns gleich andere Ziele setzen, andere Motive fördern und andere Wege einschlagen.

Die von einem Virus erzwungene Schrumpfung und die dadurch verursachte ungeplante Rezession mögen sich wie Katastrophen oder gar wie ein Fluch anfühlen. Aber die Einschränkungen und Gewohnheitsänderungen, die wir für die Überwindung der Corona-Krise vollziehen, enthalten viele Hinweise auf neue Chancen und bislang zu kurz gekommene menschliche Fähigkeiten. Die gegenwärtigen Erfahrungen mit Entschleunigung, genauem Hinschauen und Genügsamkeit können uns helfen, überzeugende Beweggründe für unseren Einsatz für den Erhalt der Biosphäre und die Lebensgrundlagen unserer Nachkommen zu finden und sie dauerhaft zu beherzigen und zu pflegen.

Eine freiwillige und von Zufriedenheit, Aufrichtigkeit und Verantwortung durchdrungene Kultur des Genug ist nicht nur eine wohltuende Kraftquelle für jeden Einzelnen und für die Menschheit, sondern auch ein Segen für alle Wesen, die das Licht der Welt noch nicht erblickt haben.

Manfred Folkers, Oldenburg, 20.03.02020